„Ich weiß ja, ich muss an mir arbeiten!“ Wenn Hundehalter:innen Rat suchen, ist das einer der traurigsten Sätze, die ich kenne! Bedeutet er doch, dass sie bereits um Rat gefragt (oder ihn ungebeten bekommen) haben, dass sie versucht haben, „an sich zu arbeiten“ … und damit gescheitert sind.
„Ich weiß ja, ich muss an mir arbeiten … aber könnte mir bitte trotzdem jemand helfen?“ Das klingt nach schlechtem Gewissen, nach Unfähigkeit und Versagen. Das klingt, als sei die Ratsuchende sich nicht wirklich sicher, tatsächlich Unterstützung verdient zu haben.

„Das Problem ist immer am anderen Ende der Leine!“
„Deine Unsicherheit überträgt sich auf deinen Hund!“
„Führ‘ deinen Hund einfach selbstbewusst und bestimmt durch die Situation, dann klappt das auch!“

Diese und ähnliche Ratschläge sind wohlfeil zu haben und hinreichend diffus, um einerseits universell einsetzbar zu sein und andererseits das Gegenüber völlig im Unklaren darüber zu lassen, was genau denn nun eigentlich zu tun sei. Sie nützen denjenigen, die sie geben: Funktioniert das Ganze, hatten sie Recht. Funktioniert es nicht, liegt das nicht etwa an ihrem Rat, es liegt nicht einmal an einer fehlerhaften Umsetzung (die ja zu korrigieren wäre). Nein: Es liegt an der Persönlichkeit des Menschen, der diesen Rat bekommen hat.

Dieser Mensch hat „es“ halt nicht drauf! Dieser Mensch muss „an sich arbeiten“!

Das ist unfair – sowohl den Menschen, als auch den Hunden gegenüber

Wenn es möglich wäre, zu beschließen: „Ab heute bin ich selbstbewusst!“, dann wäre ganz sicher niemand von uns unsicher – so dermaßen angenehm ist das für den Menschen selbst ja auch nicht. Wir könnten uns dann entscheiden, vor wichtigen Terminen nicht nervös zu sein. Und einfach mal kein Lampenfieber, keine Prüfungsangst zu haben. Wäre das nicht wunderbar?

Was wir stattdessen tun können, ist, so tun, als ob: Uns in die Brust werfen und unseren Hund an kurz gefasster Leine strammen Schrittes und hocherhobenen Hauptes durch die Situation führen.
Oder sagen wir: Ihn zumindest von A nach B bewegen. Auf die Frage, ob es sich hierbei tatsächlich um Führung im positiven Sinne handelt, kommen wir später noch zurück. Denn nicht alles, was einen Hund in Bewegung setzt, ist Führung! Zuweilen wird er einfach nur gezerrt.

Zudem sind unsere Hunde in einem solchen Ausmaß in der Lage, unsere Körpersprache zu deuten, dass sie auf eine solche Showeinlage niemals hereinfallen werden. Alles, was wir damit erreichen, ist, dass wir unglaubwürdig wirken. So schaffen wir ganz sicher kein Vertrauen.

Aber vielleicht schaffen wir es, unseren Hund kurzerhand zu überrumpeln. Dann kann es durchaus sein, dass er gar keine Zeit und Gelegenheit hat, zu reagieren. Gelingt uns das oft genug, erfährt unser Hund also oft genug, dass all sein Widerstreben ihm nichts nützt, ist es tatsächlich möglich, dass er in diesen Situationen ganz ruhig wird. Weil er aufgegeben, resigniert hat. Das wirkt dann vielleicht wie ein schöner Trainingserfolg! Tatsächlich jedoch haben wir nur einen Hund, der sich in sein Schicksal fügt, weil ihm nichts anderes übrig bleibt.

„Entspann dich mal! Deine Unsicherheit überträgt sich auf deinen Hund!“

Besonders arg treffen Ratschläge wie diese solche Menschen, denen es schon passiert ist, dass ihr Hund für sie völlig überraschend große Angst oder womöglich Aggressionsverhalten gezeigt hat. Die waren bis dahin völlig entspannt und mussten die Erfahrung machen, dass sie aus heiterem Himmel plötzlich ein Problem hatten. Wenn so etwas einmal passiert ist, dann kann es sich jederzeit wiederholen … unmöglich vorherzusagen, wann … Wie um alles in der Welt soll ein Mensch sich danach noch trauen, sich zu entspannen? (In solchen Fällen übrigens sind Trainer:innen eine große Hilfe, die mit dem Menschen analysieren, was genau der Grund für die Reaktion des Hundes war).

„Du musst an DIR arbeiten!“ ist unterlassene Hilfeleistung!

Denn es ist ja der Hund, der in einer bestimmten Situation ein Problem hat, überfordert oder verängstigt ist! Aber anstatt ihn zu unterstützen, ihm Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, soll sein Mensch sich in Persönlichkeitsoptimierung üben …

Und selbst, wenn das gelingen sollte: Es hilft nicht! Hand auf’s Herz: Vor irgendetwas haben wir alle Angst, oder?
Bei mir sind es unter anderem Spinnen. Mit kleinen Exemplaren, oder solchen, die glaubwürdig versichern, artig in ihren Netzen sitzen zu bleiben, komme ich klar, aber wenn eine handtellergroße Vertreterin ihrer Art über die Zimmerwand rennt, dann ist dieses Zimmer zu klein für uns beide!
Ich kenne Menschen, die das vollkommen kalt lässt. Die bleiben absolut entspannt, während ich Schnappatmung kriege, meine Füße auf dem Sofa unter mich ziehe und das Monster wie hypnotisiert anstarre. Und was soll ich sagen? Dass die anderen ganz locker sind, hilft mir kein bisschen! Die sollen, wenn sie das doch können, bittebittebitte diese Spinne aus dem Zimmer befördern! Dann ist mir geholfen!

Richtig ist, dass ich meinem Hund keine große Hilfe bin, wenn ich mit ihm nervös, unsicher oder gar panisch werde. Aber die bloße Tatsache, dass ich keine Angst habe, hilft ihm auch nicht.

Aber man muss sich doch mit seinen Ängsten konfrontieren!

Muss man? Wenn ich Angst in Aufzügen habe und deswegen zu dem Schluss komme, dass Treppensteigen sowieso viel gesünder ist, dann ist das doch vollkommen in Ordnung!
Wenn meine Ängste mich allerdings in meinem Alltag zu behindern beginnen, sollte ich mir Hilfe suchen.

Und genau darin liegt der Unterschied zwischen Menschen und Hunden: Menschen entscheiden selbst, was sie wollen und was nicht. Wenn ich mich zum Beispiel zu einer Konfrontationstherapie entschließe, dann ist das meine Entscheidung und ich weiß, was da auf mich zukommt. Ich werde dabei außerdem von jemandem begleitet, der dafür ausgebildet ist, genau das zu tun.
Konfrontiere ich einen Hund mit seinen Ängsten, entscheide ich über ihn und er weiß nicht, warum ich ihm das zumute. Hinzu kommt, dass Menschen in der Lage sind, zu reflektieren. Ich kann mir hinterher sagen: „Okay, das war schlimm, ich hatte eine Panikattacke, aber tatsächlich ist mir nichts passiert!“. Hunde können das nicht, deren Verständnis endet bei: „Das war schlimm!“ Beziehungsweise bei: „Das war schlimm, mein Mensch hat mich in diese Lage gebracht und er hat mir nicht geholfen …“

Mehr zum Thema Konfrontation/Flooding im Artikel von Wibke Hagemann, „Konfrontation statt Training“ im Tsd-Blog!

Neben meiner kleinen Spinnenphobie leide ich auch an Höhenangst und die fand ich irgendwann so hinderlich, dass ich beschlossen habe, sie zu bekämpfen, indem ich mich zu einem Kletterkurs angemeldet habe. Der Mensch, der diesen Kurs geleitet hat, war Bergführer und hatte eine Menge Erfahrung. Obwohl ich seine erste „Angstpatientin“ war, hat er meine Ängste sehr ernst genommen! Als erstes haben wir gelernt, wie Kletter:innen sich und andere sichern; damit war vom Kopf her schonmal klar, dass keine:r von uns abstürzen würde. Wir haben außerdem vereinbart, dass ich immer sofort abgeseilt würde, wenn ich Angst bekäme – bei einer dieser Gelegenheiten musste ich beschämt feststellen, dass ich erst anderthalb Meter geklettert war …

Mit der Zeit jedoch habe ich Vertrauen gefasst. Ich bin nicht nur einen 25 Meter hohen Naturfelsen hochgeklettert, sondern habe mit selbigem Bergführer ein Jahr später einen Viertausender bestiegen!
Höhenangst habe ich immer noch. Aber ich weiß jetzt, dass ich mit der Unterstützung von Menschen, denen ich vertraue, sehr viel mehr schaffen kann, als allein.

  • Ich habe „meinen Menschen“ als kompetent erlebt
  • Ich habe die Erfahrung gemacht, dass er für meine Sicherheit sorgt
  • Meine Grenzen wurden berücksichtigt
  • Es war in jedem Moment meine Entscheidung, wie viel ich mir zugetraut habe

Für mich war das eine Erfahrung, die mich tief beeindruckt hat!
Solche Erfahrungen können wir auch gemeinsam mit unseren Hunden machen, das sind – versprochen! – die ganz großen Momente im Zusammenleben mit einem Hund.


Foto © Lunja via canva.com