Du musst einfach authentisch sein! Dann klappt das schon!

Das höre ich, vor allem im Umgang mit Herdenschutzhunden, ganz oft. Einerseits bin ich mir sicher, dass das stimmt, andererseits hab ich jedes Mal ein ganz ungutes Gefühl, wenn ich es höre.

Was ist dieses „authentisch“ eigentlich?

Bei Wikipedia findet man dazu folgendes:

Eine als authentisch bezeichnete Person wirkt besonders „echt“, strahlt aus, dass sie zu sich selbst mit ihren Stärken und Schwächen steht und im Einklang mit sich selbst handelt. Sie vermittelt ein Bild von sich, das beim Betrachter als ehrlich, stimmig, urwüchsig, unverbogen, ungekünstelt wahrgenommen wird …“.

https://de.wikipedia.org/wiki/Authentizität

Klingt gut, finde ich! Und Tatsache ist: Unsere Hunde können uns so dermaßen gut lesen, dass es fast schon unheimlich ist! Die merken sofort, wenn wir hinter dem, was wir tun, nicht wirklich stehen. Und wie sollen sie uns verstehen, wenn es da Unstimmigkeiten gibt, unser Tun und unser Fühlen nicht zusammenpassen? Wie sollen sie da wissen, was wir von ihnen möchten (oder eben auch nicht)? Das würde dann allerdings für alle Hunde gelten, nicht nur für Herdies … Vor allem aber frage ich mich:

Wie genau sieht das denn aus, wenn ich „authentisch“ bin?

Wenn es um Dinge geht, die ich möchte, finde ich das noch vergleichsweise einfach: Wenn mein Hund zufällig genau das tut, was ich gerne hätte, dann freu ich mich. Und zwar richtig, von ganzem Herzen! Nicht so ein gekünsteltes „FAIIIIIIIN!“ …

Was aber, wenn er alleine nicht drauf kommt? Wie hilft meine Authentizität meinem Hund, herauszufinden, was ich von ihm möchte?
Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Für mein Empfinden bin ich dann ganz schnell an dem Punkt, ihm bei allem, was ich nicht möchte, diese Info authentisch zu vermitteln. Dann allerdings bin ich – ob es mir nun passt oder nicht – im Bereich der positiven Strafe.

Ich für mein Teil möchte das nicht. Was nicht heißt, dass es mir nicht trotzdem passiert: Wenn dieses Mondkalb von einem Hund im Galopp gegen mein Knie donnert und ich vor Schreck und Schmerz aufbrülle, dann ist das absolut authentisch, einfach nur menschlich … und eine positive Strafe. Aus Sicht meines Hundes füge ich einen für ihn unangenehmen Reiz hinzu.

Als sich zwischen zweien unserer Patous ein Ernstkampf anbahnte, hab ich einen davon an A* und Kragen weggeschleppt. Auch das war absolut authentisch (anderenfalls hätte es mit einiger Sicherheit nicht geklappt). Aber sonderlich gut gefühlt habe ich mich nicht damit.

Nee, klar … ich kann mir schon vorstellen, dass das so nicht gemeint ist mit dem „authentisch sein“. Ich muss ja nicht gleich massiv werden! Aber selbst dann, wenn ich im Kleinen authentisch Unwillen und Missfallen signalisieren will, muss ich diese auch empfinden – sonst ist es ja nicht authentisch. Aber will ich das wirklich?

Wenn ich ein einziges Mal die Augenbraue hochziehe und mein Hund dieses Verhalten dann nie wieder zeigt: Alles schön! Aber wie realistisch ist das?

Und habe ich, wenn er das Verhalten oft zeigt, wirklich Lust, mich jedes Mal ganz authentisch zu ärgern? Also … ich nicht! Wenn ich mich jedoch nicht wirklich ärgere, sondern nur Drohgebärden zeige, bin ich nicht nur im Bereich der positiven Strafe, sondern ich bin vor allen Dingen nicht authentisch!

Drohgebärden?

Das ist die Art und Weise, wie Hunde ganz authentisch ihr Missfallen äußern. Dazu gehört ein „sich größer, breiter machen“, ein „intensiver Blick“, aber auch eine „tiefe Stimme“. Achtet gerne mal darauf: Ein sicheres Knurren oder Bellen, also eines, das keine leere Drohung ist, sondern Taten ankündigt, ist tief!

(Natürlich wird meine Menschenstimme auch dann tiefer, wenn ich jemanden tröste oder beruhige. Allerdings sind Tonfall, Lautstärke und Körpersprache in diesem Fall anders.)

Ich glaube, dass mit einem vermeintlich authentischen Umgang ganz oft der Einsatz von Drohverhalten gemeint ist. Und das finde ich ganz außerordentlich schade.

Um auf die Herdenschutzhunde zurückzukommen: Bei denen klappt das tatsächlich richtig gut, weil sie sehr fein kommunizieren. Da muss ich nicht den großen Zampano mimen, um Eindruck zu machen! Dafür ist unser Major ein sehr schönes Beispiel. Wir spielen häufig sehr körperlich. Also: Wir raufen. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass er, wenn ich ihn anschaue, sofort nachlässt. Halte ich den Blick, legt er sich auf den Rücken.

Im ersten Moment hab ich gedacht, ich kippe vielleicht ins Drohfixieren, beuge mich über ihn, oder beides. Tatsache ist jedoch: Er beobachtet ständig mein Gesicht. Sobald ich aufhöre zu lachen, mein „Spielgesicht“ also verschwindet, nimmt er sich zurück und bietet self-handicapping an, indem er die Rolle des Unterlegenen übernimmt.

So fein kommunizieren Herdenschutzhunde! Ich finde das ganz wunderbar und möchte nicht meinerseits mit grober Kommunikation antworten.

Deswegen trainiere ich erwünschtes Alternativverhalten, ich manage schwierige Situationen und lebe die gelassene Reaktion, die ich mir von meinem Hund wünsche, nach besten Kräften selbst vor … all das, anstatt unerwünschtes Verhalten „authentisch“ zu kommentieren. Das steht jetzt deswegen in Anführungszeichen, weil ich mich in Situationen, in welchen ich positive Strafe einsetze – sei das nun versehentlich, im Affekt, oder mangels besserer Ideen – eben nicht im Einklang mit mir selbst fühle. Auch dann nicht, wenn „die Botschaft ankommt“.

Ich mag mich nicht, wenn ich so bin

Glücklicherweise scheinen Hunde eine Art „Verzeihen“ zu kennen: Ein Hund, der eine Auseinandersetzung für sich entschieden hat, nimmt anschließend häufig freundlich Kontakt zum „Verlierer“ auf. Wenn ich also nach meinem Aufbrüllen (und nach einem kurzen Test, ob ich noch auftreten kann) dem liebenswertesten aller Mondkälber meine uneingeschränkte Zuneigung versichere … dann ist die Hundewelt anscheinend wieder in Ordnung.

Eine weitere Situation, in der Authentizität meines Erachtens eine große Rolle spielt, ist dann gegeben, wenn ich ein Bedürfnis meines Hundes nicht erfüllen kann. Wenn er zum Beispiel spielen und toben möchte, ich aber ruhebedürftig bin. In solchen Momenten kann ich ihm signalisieren, dass ich seinem Wunsch gerade nicht nachkommen kann. Wenn mich aber gleichzeitig mein schlechtes Gewissen piekst, die Sorge, meinem Hund nicht gerecht zu werden, dann wird ihm das nicht entgehen. Und er wird diesen „Irgendetwas stimmt nicht!“-Eindruck womöglich beunruhigender finden als die Tatsache, dass sein Bedürfnis unerfüllt bleibt.

Dann lohnt es sich, nach Kompromissen Ausschau zu halten, bei denen ich mich ebenfalls wohl fühle: Schaffe ich einen kleinen Spaziergang? Ein kurzes Ballspiel? Biete ich etwas zum Knabbern, einen Schnüffelteppich an? Eine Runde Kuscheln?

Oder geht wirklich gar nichts? Dann gar nichts!

Es ist erstaunlich, wie gut Hunde mit solchen Kompromiss-Angeboten zurechtkommen. Noch erstaunlicher finde ich, dass sie – ähnlich wie beim self-handicapping – dann ihrerseits Vorschläge für solche gemeinsame Aktivitäten machen, die weniger Einsatz des Menschen erfordern.

Von mir zu diesem Thema also ein klares Ja!: Wenn Du authentisch bist, dann klappt das schon!

Ob das wirklich einfach ist, steht allerdings auf einem anderen Blatt:
Wie stelle ich mir meine Authentizität vor? Bin ich authentisch, wenn ich im Affekt handele? Mein Handeln nicht reflektiere? Spontan reagiere? Intuitiv? Handele ich, wenn ich mich authentisch verhalte, automatisch richtig? Ist Authentizität statisch? Oder darf ich darüber nachdenken, wie ich gerne authentisch wäre?

Ich für mein Teil kann, wie gesagt, ganz authentisch kämpfende Herdenschutzhunde trennen. Sehr viel lieber allerdings bin ich dann authentisch, wenn ich meinen Hund beschütze, ihm schwierige Aufgaben abnehme, oder aber mich lauthals darüber freue, wenn er etwas richtig macht.


Hier geht es zu Teil 2: Authentisch – unter Menschen!

Und weil das mit der Authentizität immer gerne im Zusammenhang mit „Grenzen setzen!“ auftaucht, hier die Feine-Maus-Empfehlung*:

Dieser Text enthält mit (*) markierte Affiliate Links. Wenn du darauf clickst und über diesen Link einkaufst, bekommt die Feine Maus! von dem betreffenden Anbieter eine Provision. Für dich verändert sich der Preis durch dieses kleine „Dankeschön“ nicht!

Foto © Eva Blanco via canva.com