Die etwas andere Sichtweise auf unerwünschtes Verhalten

… oder auch ein Plädoyer für bedürfnisorientierte Belohnung und das Premack-Prinzip.

Das Premack-Prinzip besagt, dass eine Handlung, die der Hund mit geringerer Wahrscheinlichkeit zeigen wird als eine andere Handlung, mit der wahrscheinlicheren Handlung belohnt, also verstärkt werden kann. Ein Beispiel: Der Hund würde gerne buddeln (wahrscheinlichere Handlung), ich muss ihn aber abrufen. Eigentlich ist das Herkommen in dem Moment die weniger wahrscheinliche, die weniger gern gezeigte Handlung – aber ich kann den Hund fürs Herkommen mit „geh buddeln“ belohnen, also mit der lieber gezeigten Handlung.

Ich möchte mal ein paar Gedanken zum Phänomen „Hunde betteln am Tisch“ mit euch teilen. An sich ja nichts Wildes, aber für viele Hundehalter:innen und Trainer:innen ein Hunde-No-Go!

Einer unserer Pflegehunde war eine ausgemachte Diebin!

Und verteidigte noch dazu solche Ressourcen. Das erste Treffen bei uns zu Hause und ein Brötchen wurde direkt aus der Hand geklaut. Die nächsten Wochen waren furchtbar, die Hündin kam wie ein Piranha neben einem hochgeschossen und klaute auch direkt vom Teller, aus der Hand, von der Gabel … In wahnwitziger Geschwindigkeit, sie hatte nämlich bei allen Vorbesitzern gelernt: „Je schneller ich bin, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich es behalten kann!“

Bei gleichzeitig heftiger Ressourcenverteidigung war ein Ziel wie „ihr geklaute Dinge wegnehmen können“ natürlich in weite Ferne gerückt. Vor allem, weil beim kleinsten Versuch, ihr etwas abzunehmen, alles vermeintlich „fressbare“ Geraubte blitzschnell so, wie es war, verschluckt wurde. Das war natürlich gefährlich.

Also haben wir angefangen, der Hündin beizubringen, dass sich „Warten“ lohnt.

Ihr lest richtig, sie wurde fürs Betteln belohnt. Einfach neben uns am Tisch sitzen und warten lohnte sich auf einmal für sie mehr, als selbst aktiv zu werden. Es war ja sehr viel einfacher für sie, als wilde Raubzüge zu starten, und so hat sie sich ganz von alleine dafür entschieden zu warten, und ja: Ganz einfach zu betteln.

Im Ernst jetzt?!

Nein, natürlich ist das nicht das letztendliche Trainingsziel. Nachdem sie das Betteln am Tisch gelernt hatte, habe ich angefangen, sie beim Essen aufs Sofa und in den Korb zu schicken, also Distanz aufzubauen. Schicken klappte rasch, dort belohnt werden auch. Die Zeit auszudehnen, hat ein bisschen gedauert.

Ich konnte mir schon bald ein Brötchen schmieren, damit ins Wohnzimmer gehen, und sie latschte ein bisschen hinter mir her – klar, Essen ist immer interessant. Aber ich konnte das Brötchen vor mich auf den niedrigen Couchtisch legen und sie ist ganz von alleine nicht drangegangen. Sie hat einfach dagesessen und – gebettelt.

Der Hund, der vorher so gut wie keine Impulskontrolle bei Essbarem zeigte, hat freiwillig, ganz ohne irgendwelche „Kommandos“ oder Drohungen, einfach gewartet. Klar, wenn ich das Brötchen unbeaufsichtigt gelassen hätte, dann wäre es wahrscheinlich weg gewesen. Aber so weit waren wir auch noch nicht im Training! Dass es an diesem oder jenem Tag geklappt hat, hieß natürlich nicht, dass es jetzt immer klappen würde und das haben wir auch gar nicht erwartet.

Aber es bedeutete, dass sie etwas wirklich verstanden hatte, und zwar: Es lohnt sich, einfach abzuwarten. Am Tisch zeigte sie das immer länger. Warten, weggeschickt werden, auch danebensitzen. Einmal kurz vor ihrem Auszug konnte sie sogar bei Tisch an mir hochspringen, ohne etwas mitzunehmen – da hatte sie schon Monate nichts mehr einfach vom Teller geklaut. Aber auf ihrer „Zugriffshöhe“ Tischkante war das eine Premiere!

Und alles nur, weil wir ihr gegeben haben, was sie ganz unbedingt wollte: Futter.

Das geht gar nicht!

Viele Leute würden jetzt sagen: Aber der Hund bettelt! Das geht gar nicht! Schick den Hund weg vom Tisch!
Und ich denke mir ganz schlicht: Wieso sollte ich das tun?

Es war doch eine sehr viel größere Leistung von ihr, sich in unmittelbarer Nähe von Essen zurücknehmen und warten zu können, als einfach weggeschickt zu werden, damit ich das Verhalten „Betteln“ nicht mehr sehen muss … oder? Eben, der Hund zeigte in der Situation eine Leistung, die noch ein paar Monate zuvor nicht denkbar war. Und zwar ganz von sich aus.

Dabei haben wir das nie gezielt als „Trainingseinheit“ geübt. Wir haben einfach gegessen und die Situation genutzt.
Gezielt trainiert habe ich mit ihr zum Beispiel, dass ich sie in ihren Korb schicke oder die Spülmaschine einräume, ohne dass sie „vorspült“. Und die Ergebnisse sind wesentlich geringer einzuschätzen als die, welche sie bereits bei Tisch zeigen kann.

Wir könnten doch statt von „Betteln“ auch einfach von „neben dem Tisch sitzen und warten“ reden. „Betteln“ ist ein Etikett, unsere Interpretation. „Neben dem Tisch sitzen“ ist einfach eine Beschreibung von Verhalten, und nicht von vornherein „unerwünscht“.

Also, ich kann ganz stolz sagen: Meine Hunde betteln!


Foto © Karolina Grabowska via canva.com