… wenn der Hund nicht entspannt alleine bleiben kann

Ich verstehe das Problem und kenne die emotionale Belastung dahinter sehr gut. Meine Hündin hat auch sehr starken Trennungsstress gezeigt. Sie musste von Anfang an nie wirklich alleine bleiben, da ich früher einen Gassi-Service hatte und sie mitnehmen konnte. Ich bin das Thema also nicht konkret angegangen, obwohl es mir bei meinem Ersthund sehr wichtig war und er sehr gut alleine bleiben kann. Spontan sein und Freund:innen treffen, schnell was einkaufen, ins Kino oder einfach mal ausgehen – Fehlanzeige. Wenn der Hund nicht entspannt alleine Zuhause bleiben kann, ist das einschränkend, belastend, nervenaufreibend und zermürbend. 

Ist das normal?

Den Hund im vollen Alltag mit Arbeit, Familie und Privatleben alleine zu lassen, erscheint vielen Menschen selbstverständlich. Doch ist es das auch?

Unser heutiges Leben verlangt unseren Hunden ziemlich viel ab. Sie sollen nicht jagen, sie sollen zurückkommen, wenn wir sie rufen, sie sollen entspannt Autofahren, Fressbares liegen lassen, im Stadtleben zurecht kommen, möglichst dicht und ohne Lautäußerung an anderen Hunden vorbei gehen – und sie sollen entspannt alleine bleiben können. Ziemlich viel, oder? 

Mittlerweile ist es zu vielen Hundehalter:innen durchgedrungen, dass man einen jagenden Hund nicht ableinen kann, wenn er nicht auf den Rückruf hört und, weil er sonst andere Tiere, sich selbst und Dritte gefährdet. Auch gibt es immer mehr Hunde, die Schwierigkeiten mit Artgenossen oder Menschen haben – darauf wird oft mit Training eingegangen und/oder solche Situationen werden vermieden. Jedoch gibt es noch sehr viele Hunde, die alleine gelassen werden, obwohl sie es nicht können. 

Was ist Trennungsstress?

Trennungsstress beschreibt das Verhalten, welches der Hund zeigt, wenn er nicht entspannt alleine bleiben kann. Früher sprach man auch von Trennungsangst, davon ist man jedoch wieder weggekommen, denn Angst ist eine Emotion, die nicht jeder Hund beim Alleine bleiben hat.

Stress ist ein Zustand, der mit Verhalten einher geht, welches sehr individuell sein kann. Nicht jeder Hund, der nicht entspannt alleine bleiben kann, hat Trennungsangst – doch jeder solche Hund hat Stress. Welches Verhalten der Hund zeigt, kann von Individuum zu Individuum, aber auch von Situation zu Situation verschieden sein. Bellen, Jaulen, Fiepen, Heulen, Türen oder Fenster anstarren oder Möbel zerstören sind mit die am häufigsten gezeigten Verhaltensweisen. Aber auch starkes Hecheln, Urinieren, Koten oder Erbrechen gehören dazu. 
 
Wenn wir uns einmal die Genetik des Hundes anschauen, ist Trennungsstressverhalten absolut normales Verhalten, denn es ist in jedem Hund genetisch verankert. Es hatte Jahrtausende lang die Funktion, die Mutterhündin zurückzuholen. Durch Domestikation verschob sich die Rolle der Bezugs“person“ vom Muttertier auf den Menschen. Das hat bei uns, so wie beim Hundewelpen, einen evolutionären Hintergrund: Das Individuum ist in diesem Stadium einfach viel zu jung, um alleine zu überleben. Die Welt ist voller Gefahren, denen ein so junges Geschöpf völlig ausgeliefert ist. Zudem ist der sichere Hafen, das Lebewesen, das Halt gibt, Bedürfnisse erfüllt und dafür sorgt, dass es dem Individuum gut geht, auf einmal weg. 

Die Jugendentwicklung erschwert es uns oft zusätzlich, dem Welpen oder Junghund das Alleinbleiben beizubringen, doch es ist ein grundlegendes Problem. Sowohl Menschen als auch Hunde sind rein genetisch und evolutionär nicht dafür ausgelegt, komplett allein zu sein. In einer freilebenden Hundegruppe (Straßenhunde oder verwilderte Haushunde) sind auch diese Hunde nie komplett alleine. Erst der Mensch hat durch die eigene Lebensweise diesen Faktor ins Leben des Hundes gebracht. Und wenn man sich die Anzahl an Hunden vor Augen hält und die knappe Zeit, die viele Menschen ihren Hunden für das Alleinbleibe-Training einräumen, scheint es doch leider logisch, dass viele Hunde nicht sofort fein mit dem Thema sind, oder? 

Leidet mein Hund, wenn ich nicht da bin?

Die meisten Hundehalter:innen nehmen Kontakt zu mir auf, weil sie darauf angesprochen wurden, dass der Hund in ihrer Abwesenheit jault, bellt oder heult. Bevor der Hund jedoch zu solchem Verhalten greift, zeigt er vorher schon andere Anzeichen von Trennungsstress. Zum Beispiel zur Tür nachlaufen, an der Tür warten oder sich nicht ablegen können. Das Trennungsstressverhalten, das Hunde zeigen, hat zahlreiche Varianten. Viele Hunde leiden auch still, das heißt, sie liegen apathisch herum, starren Türen oder Fenster an und ruhen und schlafen kaum.

Manche Menschen wissen, dass ihr Hund Schwierigkeiten mit dem Alleinbleiben hat, überwachen ihn vielleicht sogar, schauen jedoch bewusst kaum in die Kamera, weil sie es nicht ertragen können, wie ihr Hund leidet. Nun kann der Mensch einfach das Handy weglegen, doch der Hund ist der in der Situation gefangen und kann sich nicht helfen. Eines muss uns bewusst sein: Trennungsstress kann wie körperlicher Schmerz wahrgenommen werden.  

So gravierend das Problem auch ist – es ist möglich, Hunden entspanntes Alleinbleiben beizubringen. Abstand nehmen sollte man aber von veralteten Tipps wie nicht auf den Hund eingehen, ihn heulen lassen, ihn ignorieren oder gar bestrafen. 
 
Nicht auf den Hund einzugehen, wenn er bellt und jault, lässt den Trennungsstress nicht verschwinden, es macht ihn nur schlimmer. Der Hund ist an dem Punkt, an dem er dieses Verhalten zeigt, nicht mehr im „lernenden Bereich“, da sehr viel Cortisol ausgeschüttet wird und der Hund sich in einem Ausnahmezustand befindet. Denn wir erinnern uns – Trennungsstress kann wie körperlicher Schmerz wahrgenommen werden. Ja, es gibt Hunde, die dann aufgeben.

Allerdings ist es auch nicht mehr als das: Der Hund gibt auf, weil er merkt, dass niemand kommt und ihn aus seiner Not befreit. Stellen wir uns einmal vor, wir würden so lange weinen und um Hilfe rufen und niemand würde uns helfen, aus der Situation herauszukommen – das würde sich sehr bedrohlich anfühlen, oder? Manche Hunde jaulen und bellen wirklich so lange, bis sie vor Erschöpfung einfach nicht mehr können.

Kontrolle und Kontrollverlust

Den Hund bellen oder jaulen zu lassen, gilt daher heute nicht mehr als sinnvoller Trainingsweg. Dieses Vorgehen zeigt dem Hund nicht, dass Zuhause alleine bleiben auch entspannt sein kann. Stattdessen ist es jedes Mal enorm belastend, sobald der Mensch geht. Viele Hundehalter:innen berichten auch, dass der Hund immer direkt mit aufspringt, sobald der Mensch sich bewegt. Häufig fällt dann das Wort „Kontrolle“ oder „Kontrollverlust“. Oft haben sie gehört oder gelesen, dass der Hund sie kontrollieren wolle oder dass er denkt, der Mensch würde ohne ihn nicht zurechtkommen. Das überschreitet jedoch komplett die kognitive Kompetenz und „Vorstellungskraft“ des Hundes.

Vielmehr ist es so, dass der Hund versucht, die Kontrolle über Ursachen für die eigenen Gefühle zu behalten – das, was ihm ermöglicht, sich gut und sicher zu fühlen. Denn er hat ja schon zu oft die Erfahrung gemacht: Wenn der Mensch sich aus dem Raum bewegt, werde ich alleine gelassen und der Stress beginnt. Dagegen möchte der Hund vorsorgen. Also steht er auf, wenn die Bezugsperson sich bewegt, und geht hinterher, weil er gelernt hat: Beim Mensch zu bleiben, fühlt sich gut an. Und ist das nicht etwas, das wir uns von unseren Hunden sehr wünschen?

Dann ist es auch nur fair, ihm durch sinnvolles Training zu helfen, damit er nicht leidet, wenn wir nicht da sind. Wie das gehen kann, erfährst du im zweiten Teil!


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