Kognitives Lernen im Alltag

Ich gebe es zu: Bereits mit dem Titel seiner Abhandlung über die verschiedenen Lerntheorien hat Thomas Riepe mein Herz gewonnen! Seit knapp 20 Jahren unterstütze ich Menschen darin, ihre Hunde zu lehren, sich möglichst angenehm, unkompliziert und sozialverträglich zu verhalten. Seit ungefähr 10 Jahren mit dem Schwerpunkt auf positiver Verstärkung und unter Verzicht auf positive Strafe.

Seitdem erkläre ich Menschen die Lerntheorie, erläutere, was es mit den Lernquadranten auf sich hat und werde nicht müde, zu verargumentieren, dass uns zwar niemand daran hindern kann, uns für wissenschaftliche Begriffe eigene Definitionen auszudenken, das einer Verständigung aber nicht förderlich ist. Mittlerweile kann ich besagte Quadranten tatsächlich erklären, ohne dabei vorsichtshalber mit einem Auge in ein entsprechendes Schaubild zu linsen. Ich hab das immer irgendwie „sperrig“ gefunden.

Und das Unbehagen darüber ist geblieben: Hunde sind so klug, so kommunikativ, sie machen uns so viele Vorschläge! Ist Konditionierung wirklich der Königsweg, ihnen etwas beizubringen? Und basiert tatsächlich alles Lernen auf Konditionierung?

Spoiler: Tut es nicht!

Es gibt nicht nur die eine Lerntheorie!

Die vielzitierte Lerntheorie des Behaviourismus – nach der Verhalten (behaviour) wahlweise verstärkt oder gehemmt wird – ist nur eine von mehreren Lerntheorien.

Tatsächlich lernen Säugetiere hauptsächlich kognitiv. Gemäß der Lerntheorie des Kognitivismus (vom lateinischen cognoscere: „erkennen“ oder „erfahren“) – also durch Beobachten und Nachdenken oder aber Nachahmen.

Eine ganz große Stärke des Autors liegt für mein Empfinden darin, dass es ihm gelingt, dieses komplexe und und durchaus widerständige Thema in vergleichsweise wenige und sehr einfache Worte zu gießen. Respekt dafür! Thomas Riepe nimmt sich die Zeit, Dinge in aller Ruhe und mit vielen Beispielen zu erklären. Mich macht das phasenweise kribbelig, weil ich denke „Ja doch! Hab ich verstanden! Erzähl weiter!“ … allerdings rennt er bei mir auch offene Türen ein! Oder besser gesagt: Er durchschreitet ganz gemächlich weit offene Tore. Leser:innen, bei denen seine Worte eher kognitive Dissonanz auslösen (die also das, was er zu sagen hat, aus verschiedenen Gründen nur ungern hören) bietet diese Gemächlichkeit den Raum, sich dennoch auf seine Argumente einzulassen.

Auf die Beispiele für kognitives Lernen im Alltag bin ich wirklich gespannt! Und dann zunächst … enttäuscht. Das ist doch nix Neues!

Ich brauche einen Moment, bis der Groschen fällt: Klar! Das mach ich eh schon so, weil ich bereits seit geraumer Zeit bedürfnisorientiert arbeite! Anderes tue ich intuitiv (mein Unbehagen angesichts irgendwelcher Quadranten kommt nicht von ungefähr) und gehe einfach wie selbstverständlich davon aus, dass es funktionieren wird. Darüber, dass es sich hier um kognitives Lernen handelt und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, hab ich einfach nie nachgedacht.

Insgesamt habe ich meine helle Freude an dem kleinen Buch!

Wermutstropfen

Einen Wermutstropfen (wohl eher einen kräftigen Schluck) gibt es allerdings: Knapp 25 Euro für knapp über 100 Seiten in komfortabel großer Schrift sind wirklich ein stolzer Preis.

Genau genommen sind es zwei „Tropfen“: Grad als ich mich so richtig für das Thema zu erwärmen begonnen habe und mehr wissen möchte, habe ich das Büchlein auch schon zu Ende gelesen.

Das ist ganz häufig so, wenn jemand einen neuen Denkansatz in eine Diskussion einbringt: Dann sind die Veröffentlichungen erst einmal eher schlank, der Kreis der Interessent:innen noch nicht recht einzuschätzen und das Veröffentlichen teuer. Insofern würde ich mir eine überarbeitete und erweiterte Neuauflage wünschen: Mutiger, mit mehr Beispielen für die kognitiven Fähigkeiten unserer Hunde und vielleicht in Zusammenarbeit mit solchen Kolleg:innen, die entsprechende Studien durchführen können, wo es bislang nur Anekdoten gibt.

Der Blick über den Tellerrand, den Thomas Riepe mit seinem Buch anstrebt, ist so wichtig – und sowas von überfällig! – dass es nicht bei einem ersten Anlauf bleiben sollte!

Für wen eignet sich dieses Buch?

Für Menschen, denen der Nutzen von Clicker- bzw. Markertraining zwar einleuchtet, die sich dabei aber immer irgendwie unbehaglich gefühlt haben, ist Hunde sind intelligenter ganz sicher eine Bereicherung.
Selbiges gilt auch für überzeugte Vertreter:innen der behaviouristischen Lerntheorie, die mal über den Tellerrand gucken mögen.
Und für alle, die sich überhaupt einmal damit beschäftigen beziehungsweise qualifiziert darüber auseinandersetzen möchten, wie Lebewesen lernen.

Auf den ersten Blick kommt Hunde sind intelligenter wie ein Stück Fachliteratur daher, Fortbildung für Menschen, die andere anleiten, mit ihren Hunden umzugehen – oder aber gescheit darüber zu diskutieren. Andererseits weiß niemand besser, zu welch erstaunlichen kognitiven Leistungen Hunde in der Lage sind, als deren Halter:innen. Ich bin sicher, auch sie werden Spaß daran haben.

Und womöglich werden sie an den ersten Studien zu diesem Thema teilnehmen.


Info zum Buch*

Thomas Riepe

Hunde sind intelligenter – Kognitives Lernen im Alltag

Verlag: nTR
März 2024
Taschenbuch, 110 Seiten
ISBN-10: 3982613809
ISBN-13: 978-3982613802

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