… von Katrin Andres lässt mich mit sehr gemischten Gefühlen zurück.

Kauen

Es beginnt mit einem Zungenbrecher: „bio-psycho-soziale Grundbedürfnisse“ muss ich mir ein paar Mal langsam vorsprechen und selbst dann geht mir das nicht recht flüssig über die Lippen. Nicht schlimm: Dabei geht es schlicht um ein Modell, welches die Bedürfnisse von Lebewesen in einzelne Gruppen einteilt – ähnlich wie die Maslow’sche Bedürfnispyramide.

Betrachte ich das Verhalten eines Lebewesens durch die „Brille“ eines solchen Modells, nutze ich objektive Kriterien und laufe nicht Gefahr, mich in Details zu verbeißen statt das große Ganze im Blick zu behalten. Um Verhalten zu analysieren und Trainingspläne zu entwickeln, ist das durchaus sinnvoll, wenn auch auf den ersten Blick ein wenig sperrig. An dieser Stelle frage ich mich, ob ich es hier womöglich mit Fachliteratur zu tun habe, die sich eher an Trainer:innen denn an Laien richtet.

In der Folge erweist sich „Freilaufbegegnungen einschätzen und entspannen“ (so der Untertitel) jedoch als höchst praktikabler Leitfaden, anhand dessen Hundehalter:innen erfahren

  • ob und wann eine Begegnung sinnvoll und wünschenswert ist
  • wie sie die Begegnung optimal gestalten können
  • woran sich erkennen lässt, dass die Begegnung auch für die Hunde positiv verläuft und
  • worauf sie während der anschließenden Interaktion zwischen den Hunden achten sollten.

An Fallbeispielen erläutert die Autorin, was Mobbing-Sequenzen kennzeichnet und wie diese zu Stande kommen. Warum manche Hunde prädestiniert zu sein scheinen, bei Hundekontakten in Schwierigkeiten zu geraten, und was eigentlich in denjenigen Hunden vorgeht, die Mobbing initiieren. Vor allem die Erklärung des Letzteren empfinde ich als angenehm sachlich und frei von Wertung.

All das ist einerseits sehr übersichtlich gestaltet, mit Tabellen, die verschiedene Kriterien auflisten, und zusammenfassenden Textboxen – und andererseits auch wieder nicht: Wer den eigentlichen Text am Stück lesen möchte, muss zum Teil vor und zurück blättern. Dennoch finde ich vor allem die Tabellen wirklich hilfreich!

Und den immer wiederkehrenden Hinweis: „Die Begleitpersonen der der Hunde einigen sich …“ möchte ich an jede Wand sprühen!

Genau deswegen allerdings kommt mit der Begeisterung auch Frust auf: „Schön wär’s!“

Schlucken

Als Katrin Andres schildert, wie ungut verlaufende Hundekontakte getrennt werden, muss ich – ehrlich gesagt – schwer schlucken. Abrufen – geschenkt, hingehen und einsammeln – na klar!

Aber die Autorin ist gründlich, beschreibt darüber hinaus, wie die anwesenden Menschen bei heftigeren Auseinandersetzungen intervenieren können, und auch, was bei Ernstkämpfen zu tun ist. Das ist vollständig und korrekt, anders habe ich es auch nicht gelernt! Andererseits lehrt die Erfahrung, dass Hundehalter:innen Auseinandersetzungen regelmäßig sehr viel dramatischer einschätzen, als sie tatsächlich sind – vor allem dann, wenn der eigene Hund zu unterliegen droht – und dann entsprechend überzogen reagieren. Davon nehme ich mich selbst übrigens keineswegs aus!

Mir fehlen an dieser Stelle: der dringliche Appell, in erster Linie Ruhe zu bewahren und zunächst einmal genau hinzuschauen (so viel Zeit ist immer!); der Hinweis, dass die allermeisten Auseinandersetzungen Kommentkämpfe sind; und die Erklärung, woran sich diese erkennen lassen. Je lauter, wüster und dramatischer … desto weniger bedenklich. Ernstkämpfe sind leise!

Wiederum andererseits: Wer Hundebegegnungen achtsam anbahnt, muss sich mit der Frage, wie mehr oder weniger ernsthaft kämpfende Hunde sinnvollerweise zu trennen sind, gar nicht erst beschäftigen …

Räuspern

Hin und wieder stolpere ich bei Mobbing auf der Hundewiese über das Wording. Die Autorin spricht von Bystandern (Zuschauer:innen, die keine Hilfe leisten), von Tätern und Opfern. Es braucht ein bisschen Zeit, bis mir klar wird, warum diese Bezeichnungen mich unangenehm berühren: Ich verbinde sie mit Menschen, kenne sie aus der Berichterstattung über Straftaten sowie aus der Rechtsprechung, wo sie mit einem moralischen Aspekt einhergehen, der für Tiere und ihr Verhalten keinerlei Rolle spielt. Um Jagdsequenzen zu beschreiben, sprechen wir schließlich auch von „Jäger und Beute“, nicht von „Täter und Opfer“.

Andererseits richtet sich die Beschreibung an Menschen!

Da mag es sinnvoll sein, dass Halter:innen solcher Hunde, die bei Begegnungen gemobbt werden, diese tatsächlich als Opfer wahrnehmen. Und – wichtiger noch – die Halter:innen solcher Hunde, die bei derlei Händeln als Sieger hervorgehen, ihre Hunde als Täter! Als Täter, die anderen Hunden Schaden zufügen, aber auch als Täter, die ihrerseits Hilfe benötigen.

Weniger nachvollziehbar ist für mich die Erwähnung von Grenzen, die gesetzt, oder aber „ausgetestet“ werden. Dass weder Hunde noch Kinder „Grenzen austesten“, ist hinlänglich bekannt, und „eine Grenze setzen“ ist in Diskussionen über Trainingsmaßnahmen regelmäßig eine euphemistische Beschreibung positiver Strafe. Ähnliches gilt für Regeln, die „durchgesetzt werden“.

Die Trainingsanleitung für das „back“, das Gehen hinter dem Menschen, bestätigt denn auch mein Unbehagen: Den Hund mit Handfläche oder Knie zu stoppen, wenn er den Menschen zu überholen versucht, wird von jenen, die sich positives Training auf die Fahnen geschrieben haben, heute als frustrierend bis aversiv abgelehnt.

Was mir dagegen außerordentlich gut gefällt, ist die sehr ausführliche Beschreibung, wie Menschen ihrem durch Mobbing traumatisierten Hund helfen können! Zunächst einmal, natürlich, weil ein traumatisierter Hund Hilfe benötigt! Kurz- aber auch langfristig.

Darüber hinaus würde ich mir sehr wünschen, dass all denjenigen Hundehalter:innen, die keine Opfer, sondern Täter ihr eigen nennen, bei der Lektüre eines klar wird: welche Konsequenzen das Tun ihrer Hunde – zutreffender: ihr eigenes (nicht) Handeln! – für andere Hunde und deren Menschen haben kann.

Für wen eignet sich dieses Buch?

Trotz kleiner Abstriche sollte Mobbing auf der Hundewiese – Freilaufbegegnungen einschätzen und entspannen Pflichtlektüre sein!
Schon die Befolgung des schlichten Rates „die Hundehalter:innen einigen sich“ … ob zum Beispiel Kontakt überhaupt erwünscht und sinnvoll ist, könnte das Leben vieler Hunde und ihrer Menschen extrem erleichtern. Ein „sich einigen“, ob die Begegnung positiv verläuft oder besser beendet werden sollte, eine kurze Absprache, wie genau gegebenenfalls beendet werden soll … und wir müssten uns über Mobbing oder Auseinandersetzungen womöglich gar keine Gedanken mehr machen!


Katrin Andres

Mobbing auf der Hundewiese – Freilaufbegegnungen einschätzen und entspannen*

Info zum Buch

Verlag: Cadmos
März 2023
Taschenbuch, 128 Seiten
ISBN-10: 3840420717
ISBN-13: 978-3840420719


Dieser Text enthält mit (*) markierte Affiliate Links. Wenn du darauf clickst und über diesen Link einkaufst, bekommt die Feine Maus! von dem betreffenden Anbieter eine Provision. Für dich verändert sich der Preis durch dieses kleine „Dankeschön“ nicht!