oder: „Who is who“, Teil 2

Ganz egal, ob ich mein Tun Training, Erziehung, Verhaltenstherapie, Bindungsarbeit, Kommunikation oder sonstwie nenne (siehe „Who is who“, Teil 1): Sinn der Sache ist, dass der Hund dabei etwas lernt! Und damit bewege ich mich, ob ich will oder nicht, auf dem Boden der sogenannten Lerngesetze.

Wie Hänschen lernt

Die Lerngesetze (auch Lerntheorie genannt) beschreiben, wie das Verhalten von Lebewesen durch operante Konditionierung (das Lernen aus den Konsequenzen des eigenen Verhaltens) beeinflusst wird.

Einfacher ausgedrückt: Wir lernen durch unsere Erfahrungen. Hat unser Verhalten angenehme Konsequenzen, werden wir es häufiger zeigen. Sind sie dagegen unangenehm, werden wir es ändern.

Dazu gibt es vier Möglichkeiten, die sogenannten Lernquadranten:

Positive Verstärkung
etwas Angenehmes wird hinzugefügt
das Verhalten wird häufiger gezeigt
Positive Strafe
etwas Unangenehmes wird hinzugefügt
das Verhalten wird seltener gezeigt
Negative Verstärkung
etwas Unangenehmes wird weggenommen
das Verhalten wird häufiger gezeigt
Negative Strafe
etwas Angenehmes wird weggenommen
das Verhalten wird seltener gezeigt


„Positiv“ und „negativ“ beinhalten dabei keine Wertung, sondern zeigen lediglich an, ob ein Reiz hinzugefügt oder weggenommen wird.

„Verstärkung“ bedeutet, dass ein Verhalten in der Konsequenz häufiger gezeigt wird, „Strafe“, dass es abnimmt (ebenso gut könnte es neutral „Schwächung“ heißen).

Ganz wichtig zu wissen: Ob etwas angenehm oder unangenehm ist, entscheidet immer immer immer der, dem es passiert – in diesem Falle also der Hund. Wenn mein Tun dazu führt, dass mein Hund sich unwohl fühlt, dann bin ich im Bereich der Strafe, ob ich das nun will oder nicht. Das kann sogar ganz unabsichtlich passieren, wenn ich zum Beispiel meinem Hund wohlmeinend den Kopf tätschele, er das aber nun mal nicht leiden kann. In diesem Fall führt meine „Belohnung“ nicht dazu, dass er das von mir gewünschte Verhalten häufiger zeigt, sondern es wird im Gegenteil seltener werden.

Umgekehrt wird ebenfalls ein Schuh daraus: Wenn ich mit meinem Hund schimpfe, damit er ein Verhalten unterlässt, er sich aber nichts mehr wünscht, als meine Aufmerksamkeit, dann ist Schimpfen immer noch besser als nix: Er wird das Verhalten häufiger zeigen.

Und wie hilft mir diese Erkenntnis jetzt dabei, Hundeschulen einzuschätzen?

Ich kann zwei extrem beliebte Werbeaussagen als falsch identifizieren:

„Wir arbeiten ausschließlich mit positiver Verstärkung!“

Schon wenn ich das Spiel mit meinem Welpen unterbreche, weil er zu wild wird, setze ich negative Strafe ein: Ich nehme meine Aufmerksamkeit und Zuwendung weg, damit er zukünftig weniger grob mit mir spielt. Bringe ich meinem Hund bei, einen Bogen zu laufen, wenn ihm ein anderer Hund nicht geheuer ist, nutze ich negative Verstärkung: Die unangenehme Nähe des Artgenossen verringert sich und mein Hund wird häufiger von sich aus Distanz aufnehmen. Da nur der Hund weiß, was er angenehm oder unangenehm findet, kann ich mich in dieser Frage schlichtweg irren, ich kann versehentlich etwas tun, was ihm unangenehm ist, oder aber es kann im Notfall einmal unvermeidlich sein. Wer also von sich behauptet, ausschließlich über positive Verstärkung zu arbeiten, hat sich nicht eingehend genug mit den Lerngesetzen beschäftigt.

„Wir konditionieren nicht!“

Jedes Lernen über Konsequenzen ist Konditionierung. Ob die jeweilige Konsequenz in Lob und Leckerlie, in „Leinenimpulsen“ oder aber einer körpersprachlichen Reaktion des Menschen besteht, ist irrelevant. „Wir konditionieren nicht!“ ist also eine Aussage, die der Realität nicht standhält.

Ich kann einschätzen, welche Emotionen das jeweilige Training bei meinem Hund auslöst, welche Risiken damit einhergehen und wie schwerwiegend eventuelle Trainingsfehler sich auswirken können.

Positive Verstärkung

Etwas Angenehmes wird hinzugefügt:

  • aufrichtiges Lob
  • Futterbelohnung
  • Spielzeug / Spiel
  • Schnüffeln
  • Buddeln
  • alles, was dem Hund in diesem Moment Freude macht

Die Emotion, die das Training beim Hund auslöst, ist dementsprechend: Freude. Er wird sich gern auf das Training einlassen und mit Spaß bei der Sache sein.

Was positive Verstärkung betrifft gibt es kein „zu viel“, wohl aber ein „im falschen Moment“: Ich kann versehentlich solches Verhalten verstärken, das ich gar nicht öfter sehen wollte. Oder aber ich trainiere eine sogenannte Verhaltenskette: Habe ich meinem Hund zum Beispiel beigebracht, eine unerwünschte Verhaltensweise auf mein Signal hin einzustellen, und ihn dafür belohnt – dann kann es passieren, dass er das Verhalten zeigt, damit ich ihm das Signal gebe und er anschließend belohnt wird.

Beides ist durch eine Anpassung des Trainings problemlos rückgängig zu machen.

Negative Verstärkung

Etwas Unangenehmes wird weggenommen.

Wenn ich meinem Hund das Signal „Sitz“ beibringen möchte und dazu seinen Po nach unten drücke, wird er lernen, dass der unangenehme Druck nachlässt oder er ihn sogar ganz vermeiden kann, indem er sich so schnell wie möglich hinsetzt.

Hat mein Hund Probleme bei Begegnungen mit Artgenossen und ich übe mit ihm, diese in einem Bogen zu umlaufen, lernt er, dass er die unangenehme Nähe auf diese Weise vermeiden kann.

In beiden Fällen ist die Emotion Erleichterung. Im ersten Fall habe ich die Unannehmlichkeit, die ich wegnehme, allerdings zunächst einmal selbst hinzugefügt. Das entgeht auch meinem Hund nicht. Im zweiten Fall habe ich sein in der Umwelt aufgetretenes Problem gelindert (das ist auf jeden Fall eine gute Sache!), aber noch nicht gelöst: Da ist noch Luft nach oben.

Positive Strafe

Etwas Unangenehmes wird hinzugefügt:

  • scharfer Tonfall
  • bedrohliche Körpersprache
  • Schreckreize
    • Wurfkette / Discs
    • Sprühhalsband
    • Wasserflasche
  • Schmerzreize
    • Schnauzgriff
    • Nackenstoß
    • Leinenruck
    • Ohr verdrehen
    • in die Leiste pieken, kneifen oder treten
    • Stachel- oder Stromhalsband

Der Hund erhält hier keinerlei Information darüber, welches Verhalten erwünscht wäre, sondern lediglich, dass er etwas zu unterlassen hat. Der Einsatz positiver Strafe erfordert daher eine große „Treffsicherheit“: Die Strafe muss erfolgen, sobald das unerwünschte Verhalten ansatzweise gezeigt wird. Und zwar jedes Mal.

Es muss sichergestellt sein, dass der Hund die Strafe tatsächlich mit seinem Verhalten verknüpft und nicht mit Reizen, die womöglich gleichzeitig auftreten (Hunde, die versehentlich Elektrozäune berühren, verknüpfen den schmerzhaften Schlag nicht zwingend mit dem Zaun selbst, sondern unter Umständen auch mit dem Vieh dahinter, dem Weg daneben, oder dem Himmel darüber).

Die Strafe muss sofort so eindrücklich sein, dass die Angst vor einer Wiederholung stärker ist, als die Motivation, das unerwünschte Verhalten zu zeigen. Je stärker also die Motivation ist, ein Verhalten zu zeigen, desto härter muss auch die Strafe sein.

Idealerweise wird der Strafreiz so extakt in Timing und Dosierung gesetzt, dass das Verhalten bereits nach einem Mal nicht mehr gezeigt wird. Wird die Intensität der Strafe stattdessen Schritt für Schritt gesteigert, tritt lediglich ein Gewöhnungseffekt ein: Es muss dann immer wieder „scharf NEIN gesagt“ oder „an der Leine geruckt“ werden. Ist die Strafe zu hart bemessen, traumatisiert sie den Hund in einem Ausmaß, das Verhaltens-, aber auch gesundheitliche Probleme nach sich zieht.

Der Umkehrschluss wirft ein interessantes Licht auf vermeintlich milde Maßnahmen wie zum Beispiel Sprühflaschen: Wenn ich durch das Bespritzen mit Wasser existenziell wichtige Verhaltensweisen wie Jagd oder Selbstverteidigung unterbrechen kann, dann muss es sich um eine beeindruckende Strafe handeln!

Da der Grund für das unerwünschte Verhalten bestehen bleibt und der Hund keinerlei Alternativverhalten erlernt (etwas nicht tun ist kein Verhalten), besteht die Gefahr, dass das unterdrückte Verhalten unter entsprechendem Druck umso vehementer hervorbricht. Ebenso kann der Hund in die sogenannte „erlernte Hilflosigkeit“ verfallen: Lebewesen, die die Erfahrung gemacht haben, dass sie sich – ganz egal, was sie tun – nicht helfen können, stellen diesbezügliche Versuche ein und reagieren gar nicht mehr.

Die Emotion im Zusammenhang mit positiver Strafe ist Angst. Die Toleranz gegenüber Trainingsfehlern ist gering, die Risiken gravierend.

Negative Strafe

etwas Angenehmes wird weggenommen

  • Aufmerksamkeit / Zuwendung
  • Sozialkontakt
  • Spielzeug
  • Futter

Welpen, die gar zu wüst mit ihrem Menschen spielen, können durch kurze Unterbrechung des Spieles lernen, vorsichtiger zu sein.

Häufig wird auch dazu geraten, unerwünschtes Verhalten, das keinen Schaden anrichtet, zu ignorieren. Richtig ist, dass Verhalten, welches nicht zum Erfolg führt, seltener gezeigt wird.
Was „Erfolg“ ist, entscheidet dabei der Hund: Selbstbelohnende Verhaltensweisen wie zum Beispiel Buddeln im Blumenbeet, zum Teil aber auch Bellen, werden nicht weniger, wenn wir sie ignorieren.

Anders ist es bei Aufmerksamkeit heischendem Verhalten, wenn der „Erfolg“ in einer Reaktion des Menschen besteht. Wird dieses konsequent (!) ignoriert, lässt es nach. Die Emotion, welche negative Strafe erzeugt, ist Frustration.

Das Bedürfnis hinter dem Verhalten

Hinter jedem Verhalten steckt ein Bedürfnis: Wir wählen bestimmte Verhaltensweisen, um uns unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Wenn es also im Training darum geht, das Verhalten unserer Hunde nach unseren Wünschen zu verändern, werden wir die nachhaltigsten Erfolge dann erzielen, wenn wir die Bedürfnisse unserer Hunde berücksichtigen.

Das kann nicht immer 1:1 gelingen: Das Bedürfnis meines Hundes, Hasen zu jagen, muss unerfüllt bleiben. Ich kann jedoch alternativ jagdliche Beschäftigungen anbieten. Sein Bedürfnis nach (körperlicher) Sicherheit und Unversehrtheit kann ich erfüllen, indem ich zum Beispiel Distanz zur „Gefahr“ gewähre, Schutz biete und ihn an solche Reize, die Angst- und/oder Aggressionsverhalten auslösen, behutsam gewöhne. Training, das uns beiden Freude macht, erfüllt sein Bedürfnis nach Sozialkontakt und gemeinsamer Aktivität.

Muss ich jedes Bedürfnis meines Hundes sofort erfüllen? Nein. Das ist weder möglich, noch notwendig. Bereits ein Hund, dessen Bedürfnisse im Großen und Ganzen verlässlich erfüllt werden, zeigt uns das durch Zufriedenheit und Gelassenheit.

Positive Verstärkung
Emotion: Freude
Fehlertoleranz: Hoch
Risiken: Keine
Bedürfnisse des Hundes: nach Möglichkeit erfüllt
Positive Strafe
Emotion: Angst
Fehlertoleranz: Gering
Risiken: gravierend
Bedürfnisse des Hundes: nicht erfüllt
Negative Verstärkung
Emotion: Erleichterung
Fehlertoleranz: unterschiedlich
Risiken: unterschiedlich
Bedürfnisse des Hundes: teilweise erfüllt
Negative Strafe
Emotion: Frustration
Fehlertoleranz: unterschiedlich
Risiken: unterschiedlich
Bedürfnisse des Hundes: nicht erfüllt

Und was ist Management?

An dieser Stelle darf ein häufiges Missverständnis in Hinblick auf positive Verstärkung nicht unerwähnt bleiben: „Manche Hunde zeigen Verhaltensweisen, an denen es nichts positiv zu verstärken gibt!“

Das ist richtig. Vor allem bei Aggressionsverhalten ist häufig gar keine Zeit, ein akzeptables Alternativverhalten zu trainieren. Das Verhalten des Hundes gefährdet unter Umständen Menschen oder andere Hunde und wird außerdem bei jedem Mal, wenn der Hund es zeigt, weiter eingeübt. In diesen Fällen kommt sogenanntes Management zu Einsatz, durch das der Hund gar nicht erst in Situationen gerät, in welchen er das Verhalten zeigen muss.

Währenddessen wird erwünschtes Alternativverhalten trainiert. Erst dann wird der Hund schrittweise an den Auslöser des unerwünschten Verhaltens herangeführt.

Mit diesem Wissen kann ich also in etwa vorhersagen, welche Emotionen ein vorgeschlagener Trainingsweg bei meinem Hund auslösen wird und inwieweit seine Bedürfnisse erfüllt werden. Eventuelle Risiken sind mir bekannt und ich kann eine fundierte Entscheidung treffen, welche Angebote für mich und meinen Hund geeignet sind.


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