Ich freue mich immer sehr, wenn Menschen sich an eine Fachperson wenden, bevor ein Hund zu ihnen kommt. Gerade bei Tierschutzhunden, die in einer anderen Umwelt groß geworden sind und weder Haus, Leine, Familie noch Alleinsein kennen und vielleicht auch noch in eine Familie vermittelt werden, die Ersthundehaltende ist.

Was heißt eigentlich Zeit geben?

Persönlich finde ich es nicht immer einfach, in einem Erstgespräch die Anliegen der zukünftigen Bezugspersonen zu klären und gleichzeitig auch über das zu informieren, von dem ich denke, dass es wichtig ist. Es sind einfach viele Informationen. Auch nicht immer das, was die zukünftigen Bezugspersonen hören wollen. Oder auch der Tierschutzverein.

In den vergangenen Jahren bin ich leider nur mit wenigen Tierschutzvereinen in Berührung gekommen, die die zukünftigen Bezugspersonen wirklich umfassend aufklären. Mit ein Grund, warum ich Tierschutzvereinen immer wieder Webinare zur Vorbereitung für künftige Bezugspersonen anbiete.

Für mich beginnt Aufklärung bereits damit, dass man vorab ein Maß an Kenntnis zur Körpersprache eines Hundes vermittelt oder voraussetzt und prüft. Dass man ehrlich kommuniziert, dass ein Hund sich in einer anderen Umwelt auch anders verhält. Dass das rosige Verhalten dort nicht automatisch zum rosigen Verhalten hier führt.

Ich komme mir manchmal wie eine Spielverderberin vor, wenn ich beim Erstgespräch den zukünftigen Bezugspersonen sage, dass Beschreibungen nicht als gegeben gesetzt werden können. Doch in dem Fall muss ich Spielverderberin sein. Zum Schutz von Mensch UND Hund.

Ich stelle immer wieder fest, dass der Begriff „Zeit geben“ für jeden von uns eine andere Dimension hat. Für die zukünftigen Bezugspersonen, für die vermittelnde Stelle, für mich.

Die Dimension „Zeit“

Für mich ist diese Dimension stark von Individualität geprägt. Diese Individualität umfasst die individuellen Aspekte des Hundes, der Menschen und ihrer Umwelt.

Zu glauben, 2 Wochen Urlaub würden pauschal reichen, um den Hund ankommen zu lassen, ist einfach eine unfaire Aussage und auch eine problematische Erwartung der zukünftigen Bezugspersonen. Unfair gegenüber dem Menschen, dem Hund und letztendlich auch der Umwelt, in der Mensch und Hund leben.

Doch mit solchen Zeitfenstern werde ich üblicherweise konfrontiert. Denn letztendlich ist das der Alltag des Menschen. 2 Wochen Urlaub sind für den Menschen viel, weil es verständlicherweise eine für ihn wertvolle Zeit ist. Doch für die meisten Hunde sind 2 Wochen zum Ankommen eine verdammt knappe Zeit, denn es geht ja im Kopf des Menschen nicht nur ums Ankommen, sondern auch um all das, was der Hund schon nach 2 Wochen „können muss“.

Ich werde oft damit konfrontiert, dass man mir sagt, ich würde ja nur auf den Hund schauen. Menschen, die sich darauf einlassen, bekommen von ihrer Umwelt gesagt, dass sie sich viel zu viele Gedanken machen.

Verdammt nochmal ja! Ein Tier ist kein Stofftier! Auch keine Maschine, die auf Knopfdruck nach 2 Wochen nach Belieben alles ausspuckt, was es für den menschlichen Alltag braucht. Das läuft nicht nebenher.

Wenn wir uns anfangs keinen Kopf machen, keine Zeit nehmen, dann platzt der Kopf später unter Garantie und dann ist erst recht keine Zeit mehr da!

Die Gegenwart bestimmt das Tempo der Zukunft

Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass das, was in 2 Wochen funktioniert, per se auch noch nach 5 Monaten funktioniert. Und es ist fatal, wenn das so suggeriert wird! Leider werden Verhaltensauffälligkeiten nach Monaten auch oft nicht mit den ersten Wochen des Eingewöhnens in Verbindung gebracht. Da heißt es, das hat anfangs gut geklappt, warum kann er das jetzt nicht mehr? Und selbst mancher Tierschutzverein, den ich kennen lernen durfte, ist sich darüber nicht im Klaren.

Die meisten Hunde sind in den ersten Wochen, um nicht zu sagen Monaten, mental mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Wenn wir nicht in der Lage sind, den Hund zu lesen oder durch unkluges Verhalten sogar seine Körpersprache übergehen, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn er irgendwann deutlicher wird. In die eine oder die andere Richtung.

In den ersten Wochen geht es darum, sich gegenseitig kennen zu lernen, eine gemeinsame Basis zu schaffen, auf der all das aufbauen kann, was der Hund braucht, um im Alltag des Menschen überleben und leben zu können.

Jedes Lebewesen ist ein Individuum, das sich auf seine Weise verhält. In Kombination der verschiedenen Individuen verhalten wir uns alle anders. In Kombination mit der Umwelt entstehen weitere beeinflussende Faktoren.

Da lässt sich in den seltensten Fällen in 2 Wochen eine Basis schaffen, die allen Anforderungen trotzt.

Wir sollten lernen, dass Zeit geben das ist, was es ist: Etwas, das nicht per se planbar ist und pauschalisiert werden kann. Sondern eine Zeit, die auch uns hilft, zu verstehen, dass Verantwortung übernehmen auch heißt hinzusehen, was tatsächlich ist. Zu glauben, dass nur der Hund das Alphabet des Menschen lernen muss, damit alles funktioniert, ist schlichtweg falsch!

Die Gegenwart bestimmt das Tempo der Zukunft. Nicht umgekehrt.


Foto © RugliG via Canva.com