„Zeigen und Benennen“ (Z&B) ist ein Spiel, das ich mit Hunden spiele, die auf bestimmte Reize in der Umwelt mehr oder weniger heftig reagieren.
Wie Vokabellernen die Kommunikation verbessert
Dieses Trainingswerkzeug wurde ursprünglich von Kayce Cover (www.synalia.com/) entwickelt. Ute Blaschke-Berthold (www.cumcane.de), von der ich Z&B gelernt habe, praktiziert es seit 2001. Es ist also wirklich kein „neumodischer Kram“ mehr – sondern eine gründlichst erprobte und bewährte Trainingstechnik, die inzwischen unzähligen Hunden und ihren Menschen geholfen hat.
Leslie McDevitt’s „Look at that“-Game aus ihrem Trainingsprogramm „Control Unleashed“ (das Buch bei Kynos auf Deutsch: „Stressfrei über alle Hürden: Leistungsbereite Hunde durch Aufmerksamkeitstraining“)* beruht übrigens ebenfalls auf Zeigen und Benennen.
Beim Zeigen und Benennen mache ich mir mehrere „Werkzeuge“ der Lerntheorie gleichzeitig zunutze. Doch erst einmal eine Beschreibung, wie das Spiel aussieht und wie es aufgebaut wird:
Schritt 1 – das gewünschte Verhalten lernen
„Gegenstand angucken“ einfangen
Wenn der Hund etwas ansieht, wird dieses Verhalten gemarkert und verstärkt. Man sollte, um das Konzept zu lehren, mit einem neutralen Targetgegenstand beginnen, über den sich der Hund nicht aufregt, sondern einfach nur das Verhalten „ich gucke das Ding an“ lernt. Bei Hunden, die extrem schnell in hohe Erregunslagen kommen, ist das eine gute Idee, damit man nicht versehentlich „Erregung“ mit in das Verhalten und das später einzuführende Signal hinein verknüpft.
Vorsicht, Pawlow sitzt immer auf deiner Schulter!
Möchte man „Zeigen und Benennen“ draußen mit Auslösereizen spielen, ist es besonders wichtig, das zunächst nur unter Bedingungen zu machen, in denen der Hund den Reiz sehen/wahrnehmen kann, ohne sich darüber aufregen zu müssen. In jeder Trainingseinheit wird der Hund in eine bestimmte Emotionslage versetzt, die sich mit dem Spiel und dem Signal verknüpft. Unser Trainingsziel ist „entspannt sein im hier und jetzt“. Deshalb sollte die Trainingseinheit auch ruhig und entspannt sein. Wie sagt Bob Bailey so schön: „Pawlow sitzt immer auf unserer Schulter“!
Beispiel: Wenn ein Hund fremde Hunde furchtbar findet, könnte man das Spiel mit einem neutralen Gegenstand einführen und es dann erst einmal mit einem seiner Hundekumpels auf einem gemeinsamen Spaziergang spielen. Der Hund sieht den anderen Hund an, Click, Belohnung.
Schnelle Umorientierung
Ich clicke zu Beginn sehr schnell in das „Anzeigen“ hinein, damit der Hund praktisch keine Chance hat, sich „festzugucken“. Je schneller das Erregungsniveau beim Anblick des Reizauslösers ansteigt, desto schneller clicke ich in das Verhalten hinein.
Denn ich möchte nach dem Click eine Umorientierung zu mir.
Wenn dem Hund das anfangs zu schwer fällt, ist das übrigens ein Zeichen dafür, dass die Situation zu schwierig für den Hund ist – zumindest, wenn er sich ansonsten immer auf das Markersignal zu seinem Menschen umwendet. Also: Wenn es möglich ist, die Situation entsprechend leichter gestalten! Wenn er sich doch nicht umorientieren kann, reiche ich das (hochwertige) Leckerchen dem Hund direkt vor die Nase und ziehe es dann ein winziges bisschen zur Seite, sodass die Nase ein wenig mitschwenkt. Wenn der Hund sofort nach dem Nehmen des Leckerchens wieder zum anderen Hund guckt, prima, kann man gleich wieder clicken. Leckerchen wieder anreichen, leicht seitlich versetzt.
Man kann das Leckerchen auch durch das Blickfeld des Hundes fallen lassen und schauen, ob der Hund es dann vom Boden aufnehmen kann. Ziel ist in jedem Fall, dass der Hund es schafft, nach dem Click den Blick vom anderen Hund zu lösen und mich anzusehen – Jackpot!
„Hund anzeigen“ als Trick
Besonders wenn man in anderen Situationen schon freiwillige Blickkontaktaufnahme verstärkt hat, fängt der Hund meistens ziemlich schnell an, den anderen Hund „anzuzeigen“: Er guckt den anderen Hund an und orientiert sich dann zum Menschen, und wieder zurück zum Hund – nach dem Motto, „Hey, guck mal da, ich hab einen Hund gesehen, dafür gibt’s doch einen Keks. Gib mir meinen Keks!“
Prima Sache, denn nun hat der Hund „Hund anzeigen“ als Trick gelernt – jetzt kann man dem Verhalten einen Namen geben.
Schritt 2 – Vokabeln lernen
Bei mir heißt das Spiel und damit der erste Teil des Signals „Wo ist…?“ gefolgt von dem Begriff, der den Auslösereiz des Hundes bezeichnet, also zum Beispiel „Wo ist der Hund?“ oder „Wo ist das Auto?“ oder „Wo ist das Kind?“ – Es ist ja leider nicht ganz unwahrscheinlich, dass der Hund mehrere Vokabeln lernen muß, weil er mehrere Auslösereize hat, deshalb bekommt jede Kategorie einen eigenen Begriff.
Andererseits möchte ich, dass der Hund schnell merkt: Wir spielen „das gleiche Spiel“ nur mit verschiedenen Auslösereizen = Vokabeln, denn so kann er die „Spielregeln“ schnell auf die neue Vokabel übertragen. Das hat den Bonuseffekt, dass er auch die Vokabel eines noch gar nicht so gut geübten Auslösereizes schnell mit dem „Zeigen und Benennen“-Spiel und damit der gegenkonditionierten emotionalen Reaktion (dazu später mehr) verknüpft – man macht sich also bereits Gelerntes effektiv zu nutze.
Verknüpfung des Signals
Kurz bevor die Nase wieder Richtung anderer Hund schwenkt, frage ich also einfach „Wo ist der Hund?“, markiere das Anschauen und belohne. Das wiederhole ich mehrfach und fange dann langsam an, irgendetwas zu verändern – z.B. gehen wir einfach ein paar Schritte weiter, oder ich lasse den anderen Hund einige Schritte weiter gehen, oder bei totalem Trainingsluxus nehmen wir einen ganz anderen Hund … Damit sich das Signal generalisiert, braucht es ein paar verschiedene Situationen mit möglichst unterschiedlichen Hunden.
Vokabeltest
Um zu testen, ob der Hund die Vokabel gelernt hat, sagt man das Signal, wenn der Hund gerade ein wenig von etwas anderem abgelenkt ist. Schaut der Hund daraufhin zum anderen Hund oder beginnt, die Umgebung nach einem Hund zu scannen, hat er begonnen zu verstehen, was dieses Signal heißt. Da Hunde Deutsch in etwa so gut verstehen wie die meisten von uns chinesische Schriftzeichen, wird man das Ganze aber dennoch weiterhin üben müssen, damit die Vokabel auch wirklich in den „Grundwortschatz“ übergeht.
Was ist nun das Gute daran?
Es verbindet (besonders, wenn man anfangs jede Hundesichtung auch aus weiter Entfernung als Trainingsgelegenheit nutzt), mehrere bewährte Trainingswerkzeuge, nämlich:
Systematische Desensibilisierung: Systematische Desensibilisierung heißt, dass der Hund sich schrittweise an einen Reiz gewöhnt, indem man diesen Reiz anfangs nur sehr abgeschwächt präsentiert. Zum Beispiel einen Hund aus größerer Entfernung. Einen Hund, der nicht „gar so furchtbar“ ist. Oder einen Hund, der sich möglichst nicht bewegt. Was dabei „abgeschwächt“ ist, ist von Hund zu Hund verschieden. Schrittweise wird dann die Stärke des Reizes erhöht: Die Distanz wird verringert, oder der andere Hund sieht dem erklärten Feindbild ähnlicher, oder er bewegt sich mehr, etc.
Klassische Gegenkonditionierung: Klassische Konditionierung heißt vereinfacht, ein zuvor neutraler Reiz bekommt eine Bedeutung. „Gegenkonditionierung“ bedeutet, dass ein bereits konditionierter Reiz mit einer anderen Konditionierung „überschrieben“ werden soll. Wenn z.B. ein Hund schon gelernt hat „anderer Hund“ = „ich rege mich sehr sehr auf“ (wobei das keine bewusste Reaktion ist, sondern reflexiv abläuft), soll er per Gegenkonditionierung lernen, „ich sehe einen anderen Hund“ = „gute Dinge passieren“.
Operante Gegenkonditionierung: Während bei der klassischen Konditionierung ein Reiz einen Reflex (z.B. bestimmte Hormone werden ausgeschüttet) auslöst, kann der Hund natürlich auch lernen, auf einen Reiz ein bestimmtes Verhalten (bewusst) auszuführen. Das ist im Prinzip nichts anderes, als dass der Hund auf ein altes „Signal“ ein anderes, neues Verhalten ausführen soll. Leider ist das nicht so einfach, wie es sich anhört – wie jeder weiß, der schon mal versucht hat, einem Hund beizubringen, dass „Türklingel“ nicht mehr „Randale an der Tür“ auslösen soll, sondern „auf die Decke gehen und da auf Frauchen warten“.
Hier kommt nun das „Alternativverhalten“ ins Spiel.
Schritt 3 – aus alt macht neu – das Alternativverhalten:
Vor dem Training sah das Verhalten des Hundes so aus:
- „Ich seh einen anderen Hund“ – klassisch konditionierte Reaktion = Stresshormone werden ausgeschüttet = Stress.
- Fast zeitgleich: operant konditionierte Reaktion = „in die Leine springen, bellen, kreischen“. Konditioniert deshalb, weil der Hund damit schon oft erfolgreich war – der andere Hund hielt Abstand oder „mein Mensch bringt mich auf Abstand“ (schimpfend und zerrend, aber egal!), Hauptsache weiter vom anderen weg.
Als Trainingsziel soll der Hund lernen:
- „Ich seh einen anderen Hund“ – klassische gegenkonditionierte Reaktion = keine Stresshormone, evtl. sogar Entspannungshormone werden ausgeschüttet.
- Operant gegenkonditionierte Reaktion = „zum anderen Hund gucken, zu Frauchen gucken, Nasentarget an Frauchens Hand oder Pfotentarget an Frauchens Schuh, an lockerer Leine weitergehen“.
Alternativverhalten – die dritte Verteidigungslinie gegen Rückfälle
Die zunächst vielleicht überflüssig erscheinenden alternativen Verhaltensweisen, wie etwa Nasen- oder Pfotentarget, haben auch wieder mehrere Nutzen. Zunächst einmal machen sie das ganze Spiel widerstandsfähiger gegen „in alte Verhaltensweisen zurück fallen“, denn der Hund lernt weitere Strategien, mit dieser vormals stressigen Situation umzugehen. Man baut sich sozusagen zu der Rettungsleine „Anzeigen des Auslösers“ noch ein Auffangnetz (die Umorientierung zum Menschen) und darunter noch ein Luftkissen (das Alternativverhalten) auf. Das erscheint vielleicht zunächst nicht besonders logisch – noch mehr, woran der Hund denken soll …
Sicherheit durch weitere Lösungstrategien
Tatsächlich ist es aber sehr hilfreich. So ähnlich haben wir in der Schule gelernt, wie man das Ergebnis der Aufgabe 13 mal 18 rausbekommt. Da fallen mir Mathe-Legasthenikerin schon mal drei mögliche Lösungswege ein: Man könnte erst 10 mal 18 rechnen und dann 3 mal 18 und die beiden Zahlen zusammenzählen. Oder man rechnet 20 mal 13 und zieht dann 2 mal 13 ab. Oder man rechnet 18 mal 10 plus 18 mal 3. Das ist zugegebenermassen ein etwas hinkender Vergleich, um zu verdeutlichen: Mit den Alternativverhalten gibt man dem Hund weitere Lösungsansätze für die „Aufgabe“, durch die man zum gewünschten Ergebnis (der Verstärkung) kommt.
Ich sehe was, was du nicht siehst
Wenn dem Hund eine Möglichkeit in der stressigen Situation entfallen sein sollte, fällt ihm vielleicht eine der anderen gelernten Möglichkeiten ein – Hunde, die viel über freies Formen lernen, können sogar in solchen stressigen Situationen Geistesblitze haben und Verhalten anbieten, das sie in diesem Zusammenhang noch nie gezeigt haben.
Weil der Hund gelernt hat, dass verschiedene andere Verhalten in dieser Situation ihm ebenfalls etwas Gutes einbringen, wird er auch diese durchtesten. Nehmen wir zum Beispiel an, wir bemerken nicht, dass er uns durch „Anschauen“ auf einen entgegenkommenden Hund aufmerksam machen möchte. Wenn er gelernt hat, dass sich es bei „anderer Hund kommt“ auch bewährt hat, die Pfote auf den Fuß seines Menschen zu stellen, dann wird er das vielleicht versuchen.
Gandhi hat mich in einer solchen Situation auf einen Auslöser hingewiesen, indem er sich vor mich gesetzt hat. Wir spielten „Zeigen und Benennen“ anfangs viel stationär. „Sitzen“ hatte ich deshalb schon mehrere hunderte Male in genau so einer Situation verstärkt. Weil ich sein „zum Auto gucken“ nicht bemerkt hatte, wurde er deutlicher.
Und natürlich bekommt man durch das Einüben von Alternativverhalten in den Trainingssituationen weitere Verstärkungsgelegenheiten. Das bedeutet: noch mehr „gute Sachen in Anwesenheit des Auslösereizes“ und damit weitere Festigung der Komponente „Gegenkonditionierung“.
Extrabonus: Vermeidung von Stolperfallen
Zum Beispiel wird gerne als Maßnahme gegen Leinenpöbeln „Blickkontakt zum Menschen“ auftrainiert. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, dasselbe Alternativverhalten baut „Zeigen und Benennen“ ja auch auf … Es kommt aber ein bisschen darauf an, wie man es macht (und wie stringent der Hund es dann durchführen soll) – und das kann man ja sehr unterschiedlich anfangen. Man kann es ganz auf Freiwilligkeit auslegen und einfach angebotenen Blickkontakt einfangen. Man kann aus „in meine ungefähre Richtung gucken“ ein „schau mir in die Augen, Kleines“ formen. Man kann mit Leckerchen locken, und bestimmt gibt es auch immer noch Trainer, die „Hundenase in die gewünschte Richtung drehen“ per Zwang trainieren …
Wenn man das „Schau mich an“ als „Scheuklappe“ benutzt, kann es u.U. den Hund in ziemliche Konflikte bringen. Wenn er z.B. Angst vor anderen Hunden hat, verlangt sein Nervensystem eigentlich, dass er im Auge behält, wovor er sich fürchtet. Ausserdem könnte es sich als riesiger Fettnapf erweisen, dass der Hund den anderen wegen der „Scheuklappen“ erst dann bemerkt, wenn dieser viel zu nahe gekommen ist. Damit hat man dann den Reiz nicht nur viel stärker (näher), als der Hund bewältigen kann, sondern er erschrickt sich auch noch und reagiert sogar noch heftiger. Doppelfalle …
Auch für Hunde, die aus Frust an der Leine pöbeln, weil sie nicht zu dem anderen Hund dürfen, ist „wegschauen müssen“ oftmals noch frustrierender. Es wird gemacht, weil es ja befohlen wurde, aber der Mensch wird als Spaßbremse verknüpft, als „Gegner“ in dem Konflikt – nicht gut. Zudem ist Frust etwas, das man gar nicht gut brauchen kann, denn Frust kann ganz schnell zu Aggression eskalieren, uuups …
Außerdem fehlt in dem Aufbau mit „Schau mich an“ oft der Part mit der klassischen Gegenkonditionierung. Weil der Hund den anderen ja möglichst gar nicht wahrnehmen soll, werden die ganzen tollen Sachen logischerweise auch nicht mit dem anderen Hund verknüpft. Die emotionale Reaktion auf andere Hunde ändert sich also überhaupt nicht. Verpasste Gelegenheiten zuhauf.
Im schlechtesten Fall lernt der Hund dadurch sogar, dass andere Hunde noch blöder sind, als er sowieso schon dachte, denn die tauchen nun immer plötzlich und weit oberhalb der Reizschwelle auf. Möglicherweise verkettet sich das „Schau mich an“ zum Signal für „gleich wirst Du wieder von einem plötzlich zu dicht auftauchenden Hund erschreckt!“… ganz blöd.
Und manchmal wird dann sogar gleichzeitig noch ein weiteres Verhalten für Hochschulabgänger („bei Fuß“) erwartet … oder per kurz gehaltener Leine erzwungen. Damit nimmt man dem Hund die Möglichkeit, zu tun, was er eigentlich gemäß Hundeknigge machen würde: einen höflichen Bogen laufen. Und weil Hunde nicht dumm sind, wissen sie, was mit ihnen passieren wird, wenn sie sich nicht höflich benehmen.
Warum ich so ein großer Fan bin
Zeigen und Benennen ist ein tolles Werkzeug, um die Sozialisation eines Hundes fortzusetzen, bzw. den Welpen direkt so zu sozialisieren – eine Freundin hat mit ihrem Welpen zumindest den ersten Schritt bei allen möglichen Reizen gespielt, auf die der Zwerg reagiert hat. Vokabeln musste der gar nicht lernen, weil er dadurch sehr schnell die meisten „Aufreger“ ziemlich unaufregend fand.
Wichtige Kategorien können einen „Namen“ bekommen: Hunde, Männer, Frauen, Kinder, Autos, Flugzeuge, verschiedene Spielzeuge … Der Hund lernt ganz nebenbei nicht nur „Vokabeln“, sondern auch das Konzept, dass es Kategorien gibt und wie man Signale lernt.
Spannender Exkurs: Man kann auf diese Weise eventuell sogar feststellen, dass Hunde ganz andere Kategorien bilden als Menschen. Gandhi hat zum Beispiel die Vokabel „Vögel“ an kleinen, umhersausenden Vögeln wie Spatzen, Meisen etc. gelernt. Wenn ich ihn frage „Wo sind die Vögel“ und es sind nur Raben anwesend, werden mir die nicht angezeigt. Hühner, Tauben, Gänse und Enten sind seiner Meinung nach auch keine „Vögel“ – hätte ich ohne Zeigen und Benennen nie rausgefunden! Und wäre das nicht auch eine tolle Möglichkeit, mehr über die Vorstellungen, die Hunde von ihrer Umwelt haben, zu erforschen?
„Wo ist…?“ die Schrecksekunde geblieben?
Hat man einen Hund, der sich über gewisse, plötzlich auftretende Umweltreize aufregt, und er bemerkt einen solchen Reiz erst, wenn der ihn schon fast umrennt (z.B. ein anderer Hund nähert sich, während der eigene ganz vertieft an einer Stelle schnuppert), kann man ihn rechtzeitig mit „Wo ist der Hund?“ darauf aufmerksam machen. So bleibt nicht nur die Schrecksekunde aus – man erhält zudem Trainingsgelegenheiten, wo man sonst nur noch hätte managen können.
Kommunikation ist keine Einbahnstraße
Durch den beschriebenen Aufbau erlernt der Hund gleich ein (meistens sogar mehrere) Alternativverhalten. So kann er im Gegenzug den Menschen darauf aufmerksam machen, wenn da was kommt, worüber er sich gleich aufregen muss. Er hat als Lösungsstrategie beim Auftauchen von Auslösereizen gelernt, sich an seinen Menschen zu wenden.
Die Hilfe, die der Hund braucht, schleicht sich ganz von selber aus, denn der Hund zeigt nur Sachen von alleine an, die ihn aufregen (oder als „Spielaufforderung“ an seinen Menschen). Ganz oft fällt mir auf, dass das „Wo ist XY“ gar nicht mehr ausgeführt wird, wenn der Reiz die Wichtigkeit verloren hat.
- Es wird zu einem tollen „Ich sehe was was du nicht siehst, und das ist DA!“-Spiel.
- Es ist sehr vielseitig auf alle möglichen Auslösereize, Situationen, Hunde und Probleme anpassbar und anwendbar.
- Es ist leicht mit weiteren netten Trainingswerkzeugen kombinierbar, z.B. mit dem Entspannungssignal, mit dem Geschirrgriff, mit Pendeltraining …
Forschungsobjekt „eigener Hund“
Ich finde es besonders bemerkenswert, dass Hunde die gelernten Alternativverhalten nutzen, um mit uns zu kommunizieren. Gandhi hätte mich ja in dem Moment, in dem ich das Auto nicht bemerkt hatte, nicht noch mal deutlicher „ansprechen“ müssen. Und ich glaube nicht, dass er es nur gemacht hat, „um einen Keks abzustauben“ – sondern tatsächlich, damit ich mich zu ihm umorientiere. Vielleicht nur, um damit das Zeigen und Benennen-Spiel zu starten. In der beschriebenen Situation drohte aber ein Rückfall in alte Verhaltensmuster, weil das Auto direkt auf uns zu fuhr und er sich nicht mehr allzu lange hätte beherrschen können.
Genau das ist das Tolle daran: Der Hund kontrolliert damit rechtzeitig sein eigenes Verhalten und holt sich evtl. Hilfe, sodass er entspannt durch die Situation kommt. Ich bin überzeugt: Wenn sie wüssten, wie das geht, würden „pöbelnde“ Hunde nicht „pöbeln“. Sie zeigen dieses Verhalten nicht, weil sie Spaß daran haben, weil sie uns ärgern wollen oder weil sie „dominant“ sind. Sie zeigen es, weil sie keinen Plan haben, wie sie sich stattdessen verhalten können.
Anmerkung zu den zu verwendenden Verstärkern
Ich habe oben in der Beschreibung überall „Leckerchen“ verwendet. Allerdings ist Futter in vielen Fällen oder Situationen kein oder kein sehr wirksamer Verstärker. Das ist für den Ablauf etwas unpraktisch, aber nicht wirklich dramatisch, denn zum Glück hat die Natur „funktionale Verstärker“ erfunden.
Funktionale Verstärker sind die Konsequenzen, die der Hund in dieser Situation erlangen möchte – sie sind der Zweck seines Verhaltens.
Beispiel: Ein Hund, der Angst vor anderen Hunden hat und deshalb an der Leine pöbelt, möchte sich eigentlich entfernen, also die Distanz zu dem anderen Hund vergrößern, wird aber durch die Leine daran gehindert. Durch Zufall hat er vielleicht bemerkt, dass Bellen und nach vorne schießen ebenfalls dazu führt, dass sich die Distanz zum anderen Hund vergrößert: Der andere Hund geht weg! Der funktionale Verstärker – das Ziel des Verhaltens – ist „Distanzvergrößerung zum anderen Hund“. Der funktionale Verstärker ist immer viel wirksamer als jeder andere, einschließlich Futter, weil er ja genau das ist, was der Hund mit seinem Verhalten bezweckt.
Richtig gutes Training ist also immer bemüht, sich die funktionalen Verstärker zunutze zu machen.
- Wann immer ich die Möglichkeit habe, setze ich bei Leinenaggression aus Angst „Hund darf selber weggehen“ ein, also wir gehen zusammen weg.
- Wenn das Ziel des Hundes ist, dass sich der andere Hund entfernt („echte“ Aggression), dann stelle ich Trainingssituationen so, dass der andere Hund entfernt wird.
- Ist der Grund für die Leinenaggression Frust, dann ist der funktionale Verstärker „zum anderen Hund laufen dürfen“.
Die Verwendung von funktionalen Verstärkern ist sehr einfach. Allerdings verkompliziert sie die Beschreibung des Trainingsablaufs. Daher habe ich mich entschieden, diese beiden Sachen getrennt voneinander zu erläutern. Ausserdem kann es für Z&B-Einsteiger zunächst einfacher sein, den Ablauf mit Leckerchen als Verstärker zu üben, und dann nach und nach die funktionalen Verstärker hinzuzunehmen.
Wenn man einen Hund hat, der draussen kein Futter annimmt, kann man „nur“ mit funktionalen Verstärkern beginnen – und im Laufe des Trainings prüfen, ob der Hund mit zunehmender Trainingssicherheit Leckerchen annehmen kann. Wenn der Hund anfängt, Leckerchen zu nehmen, gibt einem das wichtige Informationen zu seinem Trainingsstand und zu seinem Stresslevel.
Danksagung
Mit Zeigen und Benennen hat man ein starkes, tolles Werkzeug, dem Hund schonend, konfliktfrei und extrem lohnenswert zu vermitteln, was er statt „Ausrasten“ machen kann. Ich freue mich sehr, dass Dr. Ute Blaschke-Berthold mir dieses Power-Tool in meinen Werkzeugkasten gelegt hat! Vielen, vielen Dank, liebe Ute!
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Foto © rattanakun via Canva.com