Bindungs- und bedürfnisorientiert von Anfang an
Nachdem ich schon Maria Rehbergers Buch Hunde achtsam führen sehr gefeiert habe, war das Welpenbuch für mich ein „Muss“: Ich war gespannt wie ein Flitzebogen! Und meine Erwartungen sind nicht enttäuscht worden.
Was „muss“ und was „darf“?
Oft habe ich beim Lesen an meinen ersten Welpen denken müssen. Der war schwierig! Ich war damals unglaublich froh, bereits mitten in der Ausbildung zur Hundetrainerin zu sein und in Sachen Fachkompetenz in jeder Hinsicht an der Quelle zu sitzen. Anderenfalls hätte ich mein Hundekind womöglich in seinem ersten Bad ersäuft. Aber auch so habe ich oft genug darüber nachgedacht, ihn auf der Straße an den Nächstbesten zu verkaufen. Was sag ich: Ich hätte noch draufgezahlt!
Erst viel später ist mir klar geworden, dass ich selbst es war, die es ihm mit meinem ganzen „das muss unbedingt!“, „das darf auf gar keinen Fall!“ und vor allem „bevor der erwachsen wird!“ schier unmöglich gemacht hat, anders zu sein. Anders als schwierig.
Maria Rehberger dagegen zeigt auf, was alles sein darf! Weil es zum Beispiel entwicklungsbedingt auftritt und sich mit entsprechendem Management stressfrei von selbst auswächst. Was nicht sein muss! Weil dafür noch ein Hundeleben lang Zeit ist. Und vor allem anderen: Weil ich mit einem gelassenen, sicher gebundenen Hund, dessen „Bedürfnismagen“1 gut gefüllt ist, vieles gar nicht großartig werde trainieren müssen.
Die Welpenzeit ist kurz. Statt sie mit einem im besten Falle sinnfreien, im schlimmsten kontraproduktiven Sozialisierungsmarathon zu verballern, kann ich sie dazu nutzen, meinem Hundekind achtsam den Weg in unseren gemeinsamen Alltag zu ebnen – und so einen Grundstein zu legen, der ein Hundeleben lang tragen wird.
Wer nun meint, das klinge nach angenehm wenig Arbeit, irrt allerdings gewaltig. Gilt es doch, das Hundekind so durch seinen Alltag zu begleiten, dass spätere „Trainingsbaustellen“ – sei es nun Medical-, Giftköder-, Leinenführigkeits-, Rückruftraining und wie sie alle heißen – sich gar nicht erst auftun. Das ist Arbeit! Allerdings ist sie vergleichsweise schnell erledigt – denn, wie gesagt, die Welpenzeit ist kurz!
Das Rundum-Sorglos-Paket!
Maria Rehberger erklärt all das ganz wunderbar an ihren eigenen Hunden Hermine und Maxi: Mit Auszügen aus deren Welpentagebüchern und zahlreichen Fotos aus dem Leben, die schon das oberflächliche Durchblättern des Buches zu einem großen Vergnügen machen. Wo es nötig ist, reichen die Erklärungen auch bis ins allerletzte Trainingsdetail. Und: Ich kann dabei zuschauen! Diese Ergänzung zum Buch gefällt mir ganz besonders gut: Es gibt Videos zu den einzelnen Situationen (via QR-Code abzurufen, oder aber – für ältere Semester wie mich – über einen Link im Buch).
Entspannte, völlig unspektakuläre Videos, die auch wunderbar dazu dienen können, sich wieder zu beruhigen, falls der eigene Welpe dann doch mal … Also Videos, die über Erklärungen hinaus zeigen, wie die achtsame Begleitung eines Welpen aussehen kann. Was mich persönlich sehr gefreut hat: Obwohl es im Buch gar nicht erwähnt wird, ist dort unter anderem sehr schön zu sehen, wie ich die Leine verkürze, falls das einmal nötig sein sollte: Nicht, indem ich meinen Hund zu mir ziehe, sondern mich selbst zu ihm hin angele. Das ist auch beim erwachsenen Hund noch eine wunderbare Technik!
Welpen achtsam begleiten ist ein „Rundum-Sorglos-Paket“: Von Ausstattung über Parasiten und Medical Training bis hin zum Zahnwechsel ist an alles gedacht (hilfreiche Links inklusive). Das Buch weist in seinen Anregungen weit über die Welpenzeit hinaus.
Der Wermutstropfen
Umso bitterer erscheint mir der eine Wermutstropfen, den es aus meiner Sicht hier gibt. Schon der Eintrag in Hermines Welpentagebuch lässt mich stutzen: „Sie bekommt keinen “Du bist ein Tierquäler und pööööhse“-Weinanfall mehr, wenn sie feststellt, dass sie im Auto wirklich wieder in der Box mitfahren muss.“
Ganz sicher hat die Autorin ihren Welpen nicht einfach in der geschlossenen Box weinen lassen? Weiter hinten im Buch heißt es zum Thema „Hundebox“, dass die Unterbringung eines Hundes in einer geschlossenen Box gegen das Tierschutzgesetz verstoße, sofern sie nicht dem Transport diene oder aus medizinischen Gründen notwendig sei. Und weiter: Sofern nicht geplant sei, den Hund in seiner Box einzusperren, sei es nicht nötig, den Aufenthalt in der geschlossenen Box positiv zu belegen.
An dieser Stelle bildet sich ein Knoten in meinem Hirn, den aufzudröseln mir bis heute nicht gelungen ist: Wenn ich nicht vorhabe, meinen Hund in einer geschlossenen Box einzusperren, muss ich den Aufenthalt in der geschlossenen Box auch nicht trainieren! Das leuchtet ein. Wenn ich die Box zum Transport oder aus medizinischen Gründen nutze, verstößt dies nicht gegen das Tierschutzgesetz! Verstehe ich auch. Wenn ich die Box zu solchen Zwecken schließe, die tierschutzrechtlich über jeden Zweifel erhaben sind, ist der Hund aber nicht eingesperrt! Da bin ich raus …
Für diese Sorte logischer Fehlschlüsse gibt es eine Bezeichnung, da bin ich mir ganz sicher. Absolut sicher bin ich mir außerdem, dass es für meinen Hund genau gar keinen Unterschied macht, aus welchem Grund genau die Box geschlossen wird: Das Ding ist zu, er kann nicht raus, fertig!
Die Erklärung der Autorin: Sofern mein Hund in der geschlossenen Box lediglich frustriert sei, aber keinen Stress habe, sei die Welt in Ordnung, denn Frust auszuhalten müssten unsere Hunde sowieso lernen. Das will mir gleich in mehrerer Hinsicht nicht einleuchten: Nach allem, was ich weiß, ist Frustration ein Stressfaktor. Er kann in diesem Moment also gar nicht keinen Stress haben.
Frustration auszuhalten müssen unsere Hunde lernen, gar keine Frage! Dazu bedarf es keiner besonderen Übungen: Unser Alltag bringt es einfach mit sich, dass nicht jedes ihrer Bedürfnisse (sofort) erfüllt werden kann. Und ja: Da müssen sie durch! Warum allerdings ausgerechnet das Einsperren in eine Box (mit welcher Begründung auch immer) die geeignete Gelegenheit dazu sein soll, ist mir absolut schleierhaft: Weshalb soll mein Hund durch etwas „durch müssen“, das so einfach positiv zu belegen ist?2 Das Video zu diesem Thema mochte ich mir denn auch nicht zu Ende anschauen.
Sollte mein Hund jemals aus medizinischen Gründen Zeit in einer geschlossenen Box verbringen müssen, möchte ich ganz sicher nicht, dass er den Aufenthalt darin über Frustration und Resignation erlernt hat. (Entschuldigung. Ich hätte mich sicher nicht so echauffiert, wenn ich das Buch ansonsten nicht so großartig fände.)
Für wen eignet sich dieses Buch?
Menschen, die ihren ersten Welpen zu sich nehmen: Must have! Welpen achtsam begleiten bringt wirklich alles mit, was in den ersten Wochen und Monaten wichtig ist!
Menschen, die den zweiten, fünften, achten Welpen großziehen: Gönnt Euch dieses Buch! Ich bin mittlerweile selbst eine erfahrene „Welpenmama“ und es ist schön, die eigenen Erkenntnisse von berufener Seite gründlich beleuchtet zu sehen! Noch schöner finde ich, dass es immer noch etwas dazuzulernen gibt.
Menschen, die andere Menschen anleiten, ihre Welpen großzuziehen: Must have! Was wir irgendwann einmal in der Ausbildung gelernt haben, ist nicht in Stein gemeißelt.
Was meine ausnahmsweise sehr explizite Kritik betrifft: Das Thema „Box“ wird in der Hundewelt mit ähnlich heiligem Ernst diskutiert, wie „Ernährung“, „Zeckenschutz“, „Kastration“ etc. Die Feine Maus hat sich auf die Fahnen geschrieben, gerade solche Themen aus einer nüchternen wissenschaftlichen (in diesem Fall auch juristischen) Warte zu behandeln: Nutzt unsere Bemühungen gerne, um Euch selbst eine Meinung zu bilden! Hier kommst du zu unserer Artikelserie zur Hundebox.
- „Bedürfnismagen“ ist ein Begriff, den ich bei Martina Maier-Schmid gelesen und sogleich übernommen habe: Treffender geht nicht! ↩︎
- Eine entsprechende Trainingsanleitung findet sich hier. ↩︎
Info zum Buch*
Maria Rehberger
Welpen achtsam begleiten:
Bindungs- und bedürfnisorientiert von Anfang an
Verlag: Kynos
Februar 2025
Taschenbuch, 248 Seiten
ISBN-10: 3954643421
ISBN-13: 978-3954643424
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